Wie viele MPN-Patient*innentage er schon besucht hat, kann Professor Jochen Greiner nicht genau sagen. „Aber vier oder fünf waren es bestimmt“, zählt der Chefarzt für Hämatologie und Onkologie, Stammzelltransplantation und Palliativmedizin am Diakonie Klinikum Stuttgart zusammen. Professor Greiner leitet diesmal die Informationsveranstaltung am Samstag, dem 18. November 2023. „Was mich sehr beeindruckt, ist das anhaltend hohe Interesse am Thema myeloproliferative Neoplasien (MPN) – sowohl bei Betroffenen als auch bei Angehörigen.“
André Berger
Die Gruppenbezeichnung MPN benennt im Knochenmark auftretende Neubildungen und fasst seltene Bluterkrankungen wie die Myelofibrose (MF), die Polycythaemia vera (PV) und die chronische myeloische Leukämie (CML) zusammen. Die bundesweiten Veranstaltungen, die Novartis Deutschland gemeinsam mit engagierten Ärztinnen und Ärzten, Selbsthilfeorganisationen, Psycho-, Sport- und Ernährungstherapeutinnen und -therapeuten organisiert, finden regelmäßig bereits seit sieben Jahren statt. „Vom Sehen erkenne ich schon den einen oder anderen Betroffenen wieder“, freut sich Professor Greiner. „So ist diese Veranstaltung im Laufe der Zeit selbst zu einem eindrucksvollen Beleg für die Wirksamkeit der modernen Therapien geworden, die wir hier vorstellen.“
Raum für Austausch und Kontakte: „Marktplatz des Wissens“
Bereits um halb zehn Uhr morgens öffnet der MPN-Patient*innentag mit dem „Marktplatz des Wissens“ seine Pforten. An einem guten halben Dutzend Infoständen können sich die Gäste gezielt über ihre Erkrankung informieren, direkt mit Selbsthilfeorganisationen in Kontakt treten und sich krankheitsübergreifend wichtige Tipps und Maßnahmen zum Umgang mit den körperlichen und seelischen Beschwerden holen. Ab zehn Uhr treffen sich alle im Plenum, um nach der Begrüßung, einer allgemeinen Einführung in das Krankheitsbild und der Vorstellung der einzelnen Patientenorganisationen in Einzelvorträgen mehr über die Besonderheiten und Herausforderungen der einzelnen myeloproliferativen Neoplasien zu erfahren.
André Berger
Die unterschiedlichen Herausforderungen seltener Blutkrankheiten
„Obwohl PV, MF und CML alle das Knochenmark betreffen und jeweils die Bildung von Blutzellen stören, stellt jede einzelne Erkrankung Arzt und Patient vor ganz unterschiedliche Herausforderungen“, weiß Professor Jochen Greiner.
Beispiel Polycythaemia vera
Bei der Polycythaemia vera werden zu viele rote Blutkörperchen gebildet. Dies kann zu einer Verdickung des Blutes führen, was wiederum die Gefahr von Blutgerinnseln erhöht. Um das Thromboserisiko zu senken, konzentrieren sich Medizinerinnen und Mediziner bei der Behandlung auf die Blutverdünnung, aber auch auf die Hemmung der Blutbildung. Im Laufe der Zeit treten die Nebenwirkungen der PV stärker in den Vordergrund – Betroffene klagen häufig über Müdigkeit (Fatigue), Hitzewallungen, Schlafstörungen, Juckreiz.
Beispiel Myelofibrose
Bei dieser Erkrankung ist die Produktion von Blutzellen gestört, weil das blutbildende Knochenmark durch Bindegewebe ersetzt wird. Medizinerinnen und Mediziner sprechen von einer Verfaserung. In der Folge haben die Betroffenen bei der Myelofibrose häufig mit Blutarmut (Anämie) und allgemeiner Schwäche zu kämpfen. Außerdem können Milz und Leber vergrößert sein. „Die Therapie der MF zielt oft darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern“, sagt Professor Greiner. „Durch die Fortschritte in der Stammzelltransplantation in den letzten Jahren hat diese erheblich an Bedeutung gewonnen. Um von der Transplantation sicherer zu profitieren, rate ich den Betroffenen, mit der Behandlung nicht bis zum allerletzten Therapiezug zu warten“.
Beispiel chronische myeloische Leukämie
Im Gegensatz zur MF hat die Bedeutung der Stammzelltransplantation bei der chronischen myeloischen Leukämie deutlich abgenommen und wird bei dieser Erkrankung nur noch selten durchgeführt. Grund dafür ist die gezielte Behandlung des Chromosomendefekts mit Tyrosinkinaseinhibitoren – kurz TKI – seit Anfang der 2000er-Jahre. Professor Greiner: „Dank dieser Medikamentengruppe können neu erkrankte Patienten heute nicht nur mit einer annähernd normalen Lebenserwartung rechnen – es besteht sogar die reelle Chance, dass die Medikamente im Verlauf abgesetzt werden können.“
Tyrosinkinaseinhibitoren
Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI), auch Tyrosinkinasehemmer genannt, sind zielgerichtete Krebsmedikamente, die die CML zurückdrängen können.1 Ansatzpunkt ist ein Eiweiß, das mit dafür verantwortlich ist, dass sich Leukämiezellen unkontrolliert teilen.1 TKI können es hemmen und auf diese Weise die Zellteilung blockieren.1
Gut informiert zu sein, zahlt sich aus
Dank der Gespräche mit dem Behandlungsteam oder Internetrecherchen sind die Informationen für die allermeisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht gänzlich neu „Das wiederholte Erklären und Erläutern inklusive der Möglichkeit, Fragen zu stellen, trägt aber aus meiner Sicht zu einem besseren Verständnis der Erkrankung und der Therapie bei“, so Veranstaltungsleiter Professor Greiner. „Das ist wichtig, denn Studien etwa zur CML zeigen, dass gut informierte MPN-Patienten eine bessere Prognose haben. Auch deshalb komme ich als Hämatologe und Onkologe gerne hierher“.
Lebenshilfe und Blutkrankheiten unter der Lupe
Nach der ersten Informationsrunde geht es für die über 115 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Mittagspause inklusive Buffet – zur Stärkung, zum Verarbeiten der Informationen und zum regen Austausch mit den anderen Betroffenen. Der Gesprächsbedarf ist auch diesmal so groß, dass einige Besucherinnen und Besucher fast den Beginn der Workshops um 13.25 Uhr verpassen. Jetzt geht es ganz pragmatisch um konkrete Lebenshilfe.
Für Patientinnen und Patienten mit PV oder MF erklärt zum Beispiel Dr. Ulrike Schwinger: „Wie gehe ich im Alltag mit meinen Beschwerden um?“ Und im Workshop „Helfende Hand“ nimmt sich die Psychoonkologin Ute Engel explizit den Bedürfnissen und Fragen der Angehörigen an.
Ein besonderes Highlight ist der neue Workshop „CML unter dem Mikroskop“. Hier wirft Dr. Stefan Neuburger einen Blick hinter die Kulissen der Blutbildung – genauer gesagt ins Blut und ins Knochenmark. Der Experte präsentiert CML-typische Gewebeproben live und in Farbe. Und vermittelt so eine konkrete Vorstellung von dem, was sonst oft nur abstrakt in Laborergebnissen auftaucht.
André Berger
MPN-Patient*innentage
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Novartis
Weniger vornehmen, dafür mehr gleich machen
Abschließend geht es um das wichtige Thema „Bewegung“, die bei allen myeloproliferativen Neoplasien ein wichtiges und nebenwirkungsarmes Mittel ist, um Beschwerden entgegenzuwirken und die Lebensqualität zu erhalten. Das ist zwar inzwischen fast allen im Plenum bekannt. Aber auch hier stellt sich die Frage, wie sich die vielen guten Vorsätze in konkrete Bewegung umsetzen lassen. Referentin Anja Großek hat dazu eine gute Idee: weniger vornehmen, dafür mehr Dinge gleich erledigen und statt des Aufzugs einfach die Treppe nehmen. Und siehe da, so ein Patient*innentag funktioniert. Die allermeisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer verlassen das Kongresszentrum um kurz nach halb vier über das Treppenhaus; voller neuer Eindrücke und Fakten und – vermutlich – schon in gespannter Erwartung auf die nächste Informationsveranstaltung.
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MPN-Tracker
Im MPN-Tracker können Sie Ihre MPN-Symptome sowie Ihre Blutwerte und Behandlungen erfassen. Er ist Ihr Online-Tagebuch, mit dem Sie Ihre Erkrankung im Blick behalten.
Quellen:
- Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums: Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/leukaemien/behandlung/chronische-myeloische-leukaemie-cml.php (letzter Aufruf am 06.05.2024).